Alte Wunden - Der Umgang mit traumatischen Belastungen und ihren Folgen
Oct 17, 2024
Trauma verstehen und verarbeiten: Die Rolle des Körpers
Trauma hinterlässt tiefe Spuren – nicht nur in unserem Geist, sondern auch in unserem Körper. Diese Erkenntnis prägt die Arbeit von Traumaexperten wie Dr. Peter Levine und Dr. Bessel van der Kolk. Beide haben umfassend erforscht, wie traumatische Erfahrungen das Nervensystem beeinflussen und welche Rolle der Körper in der Heilung spielen kann. Unterstützt werden diese Ansätze durch David Emerson, der durch Trauma-sensitives Yoga einen neuen Weg zur Verarbeitung eröffnet.
Was ist Trauma und wie wirkt es im Körper?
Laut Peter Levine kann Trauma als ein „eingefrorenes Überlebensreflex“ verstanden werden. Das Nervensystem bleibt in einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft, selbst wenn keine unmittelbare Gefahr mehr besteht. Diese chronische Anspannung kann sich auf viele Arten äußern: Muskelverspannungen, Schlafstörungen oder sogar chronische Schmerzen.
Auch Bessel van der Kolk betont die körperlichen Auswirkungen von Trauma. In seinem Buch „The Body Keeps the Score“ beschreibt er, wie traumatische Erfahrungen die Funktionsweise des Gehirns und Körpers verändern. Menschen, die Traumata erlebt haben, leiden häufig unter einer erhöhten Aktivität in Regionen des Gehirns, die für Furcht und Angst zuständig sind. Gleichzeitig wird der Zugang zu den Bereichen des Gehirns, die Gefühle der Freude und Verbindung ermöglichen, eingeschränkt.
Die Rolle des Körpers in der Traumaverarbeitung
Beide Forscher sind sich einig, dass Trauma nicht nur durch Gespräche geheilt werden kann. Der Körper muss ebenfalls aktiv in den Heilungsprozess eingebunden werden. Peter Levine hat mit „Somatic Experiencing“ ein Konzept entwickelt, das Betroffenen helfen soll, ihre eingefrorenen Reflexe durch sanfte Bewegungen zu lösen und so ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle zurückzugewinnen.
Van der Kolk betont, dass sich der Körper oft „taub“ anfühlt und Menschen Schwierigkeiten haben, überhaupt in Kontakt mit ihren körperlichen Empfindungen zu kommen. Indem sie lernen, ihren Körper wieder wahrzunehmen, können Betroffene oft erst den Raum schaffen, um schwierige Emotionen zu verarbeiten.
Yoga als Traumatherapie
Hier kommt David Emerson ins Spiel. Emerson hat eine Yoga-Form entwickelt, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Trauma ausgerichtet ist: Trauma-sensitives Yoga. Dieses Yoga zielt darauf ab, Betroffene auf behutsame Weise wieder mit ihrem Körper in Kontakt zu bringen. Anstatt den Körper an eine feste Abfolge von Bewegungen zu binden, werden die Teilnehmer ermutigt, die Bewegungen ihrem individuellen Tempo anzupassen und wieder ein Gefühl von Kontrolle zu erlangen.
Beim trauma-sensitiven Yoga geht es vor allem darum, die Bewegungen als Einladung zu gestalten, nicht als Aufforderung. Die Übungen helfen den Teilnehmenden, ihre eigene Körperwahrnehmung zu stärken, ohne dabei die eigenen Grenzen zu überschreiten. Studien von van der Kolk und Emerson zeigen, dass Yoga die Symptome von posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) lindern kann, indem es den Zugang zu körperlichen Empfindungen fördert und so die Regulierung des Nervensystems unterstützt.
Die Verbindung von Achtsamkeit und Bewegung
Achtsamkeit spielt eine entscheidende Rolle in der Traumaheilung. Indem Betroffene lernen, ihren Atem zu beobachten und ihren Körper zu spüren, kann das Nervensystem aus dem Alarmzustand zurückkehren. Atemübungen und sanfte Yoga-Posen fördern die Aktivität des parasympathischen Nervensystems, welches das Gefühl von Sicherheit und Ruhe verstärkt.
Für viele Menschen kann Yoga daher eine Möglichkeit sein, wieder im Hier und Jetzt anzukommen. Emerson erklärt, dass der Körper, der einmal als „Feind“ empfunden wurde, durch Yoga wieder zu einem Ort der Sicherheit und des Wohlbefindens werden kann. Das Konzept ist einfach, aber kraftvoll: Indem man lernt, sich selbst und seinen Körper zu spüren, werden auch die Wege zu emotionaler Heilung eröffnet.
Fazit
Trauma ist tiefgreifend und wirkt sich auf viele Ebenen des Seins aus. Die Ansätze von Peter Levine, Bessel van der Kolk und David Emerson zeigen, dass der Körper im Heilungsprozess eine zentrale Rolle spielt. Trauma-sensitives Yoga bietet einen Zugang zu diesem Prozess, indem es den Betroffenen ermöglicht, achtsam und sicher in ihrem Körper zu sein und das Nervensystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Indem Körper und Geist auf eine behutsame Weise miteinander verbunden werden, kann die Reise der Traumaheilung beginnen. Die Kraft liegt im Atem, in der Achtsamkeit und in der Bewegung – die Bausteine, um sich selbst Schritt für Schritt zu heilen.